Wildtier(S)zucht

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Welpen, Wahn und Wiederspruch

über die Wildtier(S)zucht

2016 werden wir mit einem besonders grausamen Fall von Bärenleid in Albanien vertraut. Welpen, wenige Wochen alt, wurden gewildert, die Muttertiere erschossen. Die hilflosen Jungtiere erfahren traumatischen Missbrauch, der sie für ihr Leben zeichnen wird. Doch es gibt Hoffnung, die kleinen Vierbeiner können gerettet werden. Eigens für sie passen wir einen Teil unserer Freianlagen an, gestalten sie welpensicher. Eigentlich steht der Rettungsaktion nichts mehr im Wege.

Eigentlich.

Der Antrag zur Einfuhr der Bärenwelpen in die EU wird abgelehnt. Wir haben nicht vor, mit den Tieren zu züchten, daher sehen die Behörden keinen Grund die Rettung zu unterstützen.

Schlimm genug, dass die Zucht von Wildtieren zu einer unüberschaubaren Menge an Wildtieren in Gefangenschaft führt und dadurch Tierleid fördert, erschwert die Gier nach Nachwuchs zudem den Tierschutz. Immer wieder wird dies mit Artenschutz gerechtfertigt. Aber, ist die Zucht von Wildtieren wirklich Artenschutz oder genau das Gegenteil? Warum scheint der Tierschutz in Sachen Zucht keine Rolle zu spielen? Ist das Konzept von Arterhalt in Gefangenschaft noch zeitgemäß?

 

INHALTSVERZEICHNIS

1 – Es gibt zu viele Tiere (in Zoos)
2 –Rechtfertigungen
3 – Realität
4 - Fazit

1 – Es gibt viel zu viele Tiere (in Zoos)

Sie sind niedlich und dienen (angeblich) einem guten Zweck: Tierbabys. Überall auf der Welt erfreuen sie sich größter Beliebtheit und werden als die Absicherung des Fortbestands einer bunten Tiervielfalt gefeiert. Von den Pandas in Berlin über Braunbären in Thale bis zu Tigern in Leipzig vergeht kaum ein Monat, in dem tierischer Nachwuchs im Zoo für Aufsehen sorgt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine cleverere Strategie, denn die kleinen Tiere sind Publikumsmagnete und sorgen somit für Schlangen an den Kassen. Auch in den sozialen Medien sind sie wahre Superstars. Allein der Zoo Berlin konnte 2024 einen Umsatz von 30.000.000 Euro erzielen. Auf der anderen Seite ist der Aufwand, der hinter der Haltung von Wildtieren steht, immens.

Im Zoo Leipzig leben allein circa 650 Arten in sechs Erlebniswelten. Nach eigenen Angaben sind hier seit Gründung 1878 Über 2.300 Löwen, 370 Amurtiger und 75 Lippenbären geboren.

Doch was geschieht mit den Tieren, wenn sie erwachsen werden?

Falls sie erwachsen werden…

2019 waren wir Teil einer Delegation des Tierschutznetzwerks EARS [European Alliance of Rescue Centres and Sanctuaries] die in Brüssel vor dem Europäischen Parlament die alarmierende Situation in Sachen Wildtiere vorlegte. Es war ein historischer Moment, zum ersten Mal in der Geschichte wurde in Europa dieses Thema in der höchsten Institution vorgebracht. Erschreckend war damals, dass es circa 20.000 Wildtiere jährlich gab, die überschüssig waren, keine Unterbringung finden konnten. Tendenz steigend, da die Zucht von Wildtieren trotz Platzmangels exzessiv weiterbetrieben wird.

 

Lösungsansatz: 
Platz schaffen in Form von weiteren Tierschutzeinrichtungen, Tierschutzanlagen in zoologischen Gärten einrichten, Zucht minimieren.

2019 signalisierten wir gemeinsam mit zahlreichen internationalen Tierschutzorganisationen, dass dringender Handlungsbedarf besteht und die Haltung von Wildtieren grundlegend neu bewertet werden muss. Andernfalls wird eine massive Tötung von Tieren unausweichlich sein.

Dann kam die Corona-Pandemie, danach der Ukraine -Krieg. 2025 herrscht in ganz Europa Fachkräfte Mangel, allein in Deutschland sind weit über hundert Stellen in der Tierpflege zu besetzen. Die Tierschutzeinrichtungen sind voll, die Situation spitzt sich zu. Während NGOs bemüht sind, die Flut an Bären, Tigern, Löwen und anderen Wildtieren zu bewältigen wird in zoologischen Gärten weiter gezüchtet. Obwohl es schier unmöglich ist, in Europa einen Platz für einen alten, traumatisierten Bären zu finden, werden wieder und wieder Welpen geboren.

Die Konsequenz:
das Töten gesunder Tiere ist Alltag geworden.

Doch warum wurden die Hinweise, Warnungen und Empfehlungen von Tierschutzorganisationen ignoriert?

2 - Rechtfertigungen

Die Entsorgung von Lebewesen ist nicht nur ein Risiko, das in Kauf genommen wird, es ist seit vielen Jahren eine gängige Praxis, um das System Zoo am Laufen zu halten. Circa 5.000 gesunde Tiere werden jährlich umgebracht, unter anderem aus Platzmangel oder weil die Mutter die Welpen verstoßen hat. Im Kölner Zoo werden daher zwei Löwenjunge getötet, im Nürnberger Tiergarten 12 Paviane und im Zoo Leipzig drei Amurtigerwelpen. Eine Handaufzucht wäre nicht artgerecht, so die Begründung.

Natürlich ist eine Handaufzucht nicht artgerecht, aber diese Rechtfertigung scheint absurd. Gefangenschaft von Wildtieren ist nie artgerecht, kann nie artgerecht sein. Und dennoch ist das Hauptargument für die Gefangenschaft und Zucht von Wildtieren der Artenschutz. 2005 bis 2020 wurden lediglich 149 Tiere geschützter Arten aus deutschen Zoos für Auswilderungsprojekte ausgeführt. Im Gegenzug wurden im gleichen Zeitraum knapp 2000 Tiere importiert, fast die Hälfte davon waren Wildfänge aus der Natur. Grund: der Genpool in Gefangenschaft ist zu gering und muss aufgefrischt werden.

Doch sind das Opfer, die im Sinne des Artenschutzes gebracht werden müssen, um aussterbende Tierarten zu bewahren? Braunbären sind nicht vom Aussterben bedroht, werden aber weiterhin gezüchtet. Amurtiger sind nicht zur Auswilderung gedacht, bekommen dennoch Nachwuchs. Müssen einzelne Individuen den Preis für Artenschutzprojekte zahlen, in dem sie entweder in Gefangenschaft leben oder bereits als Welpen getötet werden? Wenn eine Handaufzucht zu Verhaltensstörungen führen kann, die abgesehen davon ohnehin unweigerlich nach einer gewissen Zeit auftreten, und Tötung die tiergerechte Alternative ist, stellt sich die Frage: warum wird immer noch gezüchtet?

❓ ARTENSCHUTZ ODER AUSREDEN?

Das Argument:

Zucht in Gefangenschaft ist notwendig, um bedrohte Arten zu erhalten.

Die Realität:

Weniger als 150 Tiere wurden in 15 Jahren aus deutschen Zoos ausgewildert. Gleichzeitig starben Tausende.

Tierbabys sind die unangefochtenen Superstars in Zoos. Sie sorgen für die Beliebtheit von zoologischen Gärten und sind wirtschaftlich lukrativ. Zum einen durch Eintrittsgelder, Spenden und Patenschaften, zum anderen als Ware im internationalen Tierhandel. Bärin DAGGI, die heute in unserem Projekt WORBIS lebt, wurde beispielsweise in einen bulgarischen Zoo geboren und an eine Zirkusdompteurin verkauft. ASUKA und POPEYE, ebenfalls aktuell in Worbis zuhause, wurden in Zoos in der Ukraine gezüchtet und landeten in einem Streichelzoo. Luchsin ELA wurde in einem deutschen Zoo gezüchtet und noch als Welpe an einen Freizeitpark nach Fuerteventura verkauft. Viele Jahre lebte sie dort, bevor sie in unserm Schwarzwälder Projekt ein neues, tiergerechtes Leben fand.

Millionen Tiere leben in Gefangenschaft, werden als Ware weiterverkauft, als Unterhaltungsobjekt ausgestellt. Auf sie wartet direkt der Tod kurz nach der Geburt oder ein Leben voller Verhaltensstörungen, niemals artgerecht, selten verhaltensgerecht, denn die tiergerechten Einrichtungen sind hoffnungslos überfüllt.

Alles für den Artenschutz? Welche Tiere werden eigentlich ausgewildert? Wer sind diese Lebewesen, produziert für die Freiheit, auf Kosten des Leids von Millionen anderer Tiere? Wie sehen jene vom Menschen gemachten Hoffnungsträger aus, die Zukunft der Tierwelt?

INFO FACT
Das Przewalski-Pferd gilt als eine Art Flaggschiff für die Zucht einer einst ausgestorbenen Art und deren Wiederansiedlung. Allerdings leben die Przewalski-Pferde nicht wirklich in der freien Wildbahn, sondern in Schutzzentren und Nationalparks.

3 - Realität

Aktuell werden z.B. Luchsprojekte gefördert, dazu gehört u.a. die Zucht und Auswilderung. Auch in Deutschland sind Artenschutzprojekte in Sachen Waldgeist hoch im Kurs. Doch die Geschichte von Luchs HERO führt uns nach Litauen.

2020 sind wir im Zoo Kaunas, Litauen, um einen Wolfshybriden abzuholen. Es ist ein historischer Ort, einst bekannt in ganz Europa. Mittlerweile ist das Gelände jedoch in die Jahre gekommen. Die kleinen, kargen Käfige sind längst nicht mehr zeitgemäß. In einem davon befindet sich ein Luchs. Dieser wurde 2015 geboren, um als Teil eines Auswilderungsprojekts in die freie Wildbahn entlassen zu werden. Doch leider gibt es Probleme. Sein Hüftapparat funktioniert nicht adäquat. Er knickt immer wieder beim Gehen weg. Eine erfolgreiche Auswilderung wird dem Tier nicht zugetraut.

Der Luchs bleibt im Zoo, statt Wald und Freiheit wartet ein Leben in einem Käfig auf ihn. Bis eine Förderung durch die EU im zweistelligen Millionenbereich alles ändert. Der Zoo Kaunas wird von Grund auf neu gebaut. Die Sanierung soll zu altem Glanz verhelfen. Käfig für Käfig wird abgerissen, neue, moderne Anlagen entstehen. Das Projekt soll ein Vorzeigeobjekt werden, zeigen, wie die Zukunft von Zoos sein kann. Ein behinderter Luchs passt allerdings nicht in das Bild der schönen, heilen Welt, das hier inszeniert wird. Kein Besucher geht in eine Einrichtung, um sich einen kaputten Luchs, einen Misserfolg anzusehen. HERO wird vom Hoffnungsträger zum Abfallprodukt. Für einen alten, rostigen Käfig hat er noch genügt, doch für teure, neue Anlagen ist er nicht gut genug. Also geschieht das, was in solchen Fällen Standard ist: der Luchs soll getötet werden.

Luchs HERO – Zucht für den Arterhalt?

Ziel des Projekts:

  • Luchs züchten
  • auswildern
  • Art erhalten

Realität für HERO:

  • Geh-Behinderung
  • nicht auswilderbar
  • für Besucher „nicht attraktiv“
  • geplante Tötung

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ergibt dies absolut Sinn. Der Luchs wurde für einen Markt produziert, den er aufgrund seiner Mängel nicht bedienen kann, kommt ins Lager und wird bei der nächsten Inventur entsorgt. Klingt hart, ist aber Alltag in einer Gesellschaft, die Tiere nicht als Lebewesen sondern als Ware betrachtet. In der freien Wildbahn hätte der Luchs mit seiner Behinderung eine geringe, sehr geringe Überlebenschance gehabt. Aber in Menschenhand hat er gar keine erhalten.

Und genau das ist der Punkt. Das ist der Unterschied zwischen Artenschutz und Tierschutz. Wobei es letztlich ein Unterschied ist, den es gar nicht geben darf, denn Artenschutz und Tierschutz funktionieren nur nachhaltig, wenn sie sich gegenseitig ergänzen. Effektiver Artenschutz kann nur funktionieren, wenn die Tiere als Individuen betrachtet werden, nicht als fortlaufende Nummer in einem System. Denn so funktioniert Natur nicht. Artenschutz wirkt am effektivsten durch den Erhalt des Lebensraums. Dabei entstehen oft Konflikte mit der Bevölkerung, da es immer wieder zu Zwischenfällen mit Wildtieren kommt. Z.B. in Sachen Herdenschutz. Daher ist ein effektives Wildtiermanagement elementar und dieses basiert darauf, jeden einzelnen Fall individuell zu behandeln.

INFO FACT

Artenschutz in 2 Arten: Ex-situ vs. In-situ

Ex-situ bezeichnet Artenschutz außerhalb des Lebensraums, z.B. Zucht im Zoo. In-situ bedeutet Artenschutz im natürlichen Lebensraum.

Doch zurück zum Thema Wildtierzucht. Tierbabys mit Artenschutz zu rechtfertigen sagt sich leicht daher, doch am Ende wirkt es eher wie Greenwashing des angekratzten Images von Zoos. Wirklicher Artenschutz ist wesentlich komplexer als die simple Rechnung Tiere in Gefangenschaft zu züchten und sie dadurch für die Nachwelt zu erhalten. Artenschutz ist das Ergebnis etlicher Komponenten, die von biologisch im Bereich der Feldarbeit und des Tiermanagements bis zu kulturellen und politischen Aspekten reichen. Letztlich müssen wir als Gesellschaft gemeinsam den Artenschutz wollen und darin läge die wirkliche Aufgabe von Zoos. Es ist höchste Zeit die Bemühungen der Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Nachzucht in Gefangenschaft wurde ausgiebig betrieben und funktioniert nachweislich nicht, denn sie wertet das Leid niemals auf, was dadurch entsteht. Nun wäre es an der Zeit offen in den Dialog zu gehen und sich einzugestehen, dass Artenschutz nur draußen, vor Ort in der Natur, erfolgreich sein kann. Denn dann werden nicht nur einzelne Tierarten unterstützt, sondern komplette Ökosysteme, in denen kleinere Lebewesen leben, die sich unter dem Radar von Zoobesucher*innen bewegen.

INFO FACT
Von den Luchsen in Deutschland bis zu den Pandas in China gibt es große Probleme mit der Auswilderung der gezüchteten Tiere. Oftmals sterben sie nach nur kurzer Zeit in der freien Wildbahn, da sie an die Natur nicht gewöhnt sind. Sie erkranken beispielsweise, da sie nicht resistent genug sind und erweisen sich im Vergleich zu ihren wildlebenden Artgenossen als nicht konkurrenzfähig.

4 - FAZIT

Angesichts der hohen Zahlen an Wildtieren in Gefangenschaft benötigen wir Zoos in Zukunft als Auffangstationen und Refugien, in denen traumatisierte Lebewesen ein neues Zuhause finden. Doch die Kapazitäten dafür können nur geschaffen werden, wenn die Zucht umgehend minimiert wird. Zoos werden als Einrichtungen dringend gebraucht, doch nicht als Brutstätte von Wildtieren und Fabriken für den internationalen Tierhandel, sondern als Bildungs- und Begegnungsstätte. Wir, die STIFTUNG für BÄREN -Wildtier- und Artenschutz, haben eine ähnliche Entwicklung selbst erlebt. Einst hatte wir Nachwuchs in unserem Projekt. Mehrere Wolfsrudel sind bewusst in unserer Obhut zur Welt gekommen, doch als uns bewusst wurde, dass Nachwuchs von Wildtieren in Gefangenschaft weder dem Tierschutz etwas bringt, (da es den ohnehin stark begrenzen Platz dezimiert) noch dem Artenschutz dienlich ist (wenn die Tiere nicht ausgewildert werden), haben wir unsere Zucht eingestellt.

Und so können wir heute Tiere wie den behinderten Luchs aus Litauen bei uns aufnehmen, ihm eine Identität geben. HERO lebt und erinnert uns jeden Tag daran, dass wir Menschen unsere Verantwortung gegenüber den Wildtieren nicht einfach abgeben können, wenn es unbequem wird. Die Konsequenzen unseres Handelns können nicht ignoriert oder schön gemalt, sondern müssen getragen werden. Zurück zum Anfang: Letzten Endes konnten wir die Bärenwelpen aus Albanien doch noch retten, obwohl wir nicht mit ihnen züchten wollten. Unser Antrag wurde im zweiten Anlauf bewilligt, weil wir Bildungseinrichtungen betreiben, einen pädagogischen Auftrag erfüllen. 

Es gibt nicht DEN Bären, DAS Wolfsrudel und wir können die Ausrottung von Luchsen nicht dadurch wieder gerade biegen, dass wir sie künstlich nachzüchten und in die Natur werfen. Als hochentwickelter Industriestaat können wir Natur nicht synthetisch in Einrichtungen am Leben halten, sondern müssen uns der Herausforderung stellen, Natur lebendig zu halten und gleichzeitig erlebbar. Dies funktioniert eben dadurch, dass wir (wieder) verstehen, welche Auswirkungen unser Handeln auf die Tierwelt hat.

Der beste Tierschutz besteht darin, dass es gar nicht erst zum Tierleid kommt. Und der beste Artenschutz dann, wenn wir Menschen Wildtiere nicht in Gefangenschaft halten, sondern ihnen einen Lebensraum in der freien Wildbahn erhalten.