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Die STIFTUNG für BÄREN hat angeboten, die ehemalige Wildbärin JJ4 aus dem italienischen Trentino im Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald aufzunehmen. Wir nehmen die Geschichte von JJ4 zum Anlass, in einer fünfteiligen Newsserie die Situation von Wildbären in Italien und Europa aus verschiedenen Perspektiven zu durchleuchten und Handlungswege für die Zukunft im Umgang
Die Situation von JJ4 aus Bären-Perspektive
Faktencheck
Die Wildbärin JJ4 wurde, nachdem sie mutmaßlich einen Jogger Anfang April 2023 im Trentino getötet hat, zwei Wochen später in einer Rohrfalle mit ihrem Nachwuchs gefangen. Die Jungtiere wurden sofort wieder in die Natur entlassen, da man sie bereits als allein überlebensfähig erachtete. JJ4 ist seither in Castellar in der Forstlichen Auffangstation untergebracht. Schon zuvor wurde die Bärin aufgrund zweier Übergriffe auf Menschen auffällig. In allen bekannten Fällen führte sie Jungtiere mit sich. Anders als ihre Mutter JURKA, ihre Brüder JJ1, JJ2 und JJ3 oder ihre Halbschwester ISA (DJ3), näherte sich JJ4 jedoch nie menschlichen Siedlungen und richtete dort Schäden an.
Hintergründe zur Herkunft von JJ4
JJ4 ist die Tochter von JURKA, Halbschwester von ISA und Schwester von Bruno (JJ1), der 2006 in Bayern als „Problembär“ deklariert wurde und in die deutsche Geschichte einging. Bruno war der erste Bär, der seit der Ausrottung des Bären in Deutschland vor bald 200 Jahren über die Alpen aus Italien einwanderte. Am 26.06.2006 wurde er auf Anordnung der Behörden erschossen, nachdem er die Nähe von Menschen nicht scheute, Nutztiere tötete und Bienenstöcke plünderte.
JURKA, wurde 1999 im Zuge des Life Ursus Projektes von Slowenien ins italienische Trentino zur Auffrischung der dortigen Bärenpopulation gebracht. Auch JURKA wurde eingefangen und der Natur entnommen, weil sie ihre Scheu vor Menschen verloren hatte, nachdem Menschen sie mutmaßlich anfütterten. Ihrem Nachwuchs gab sie dieses Verhalten weiter, was zur Tötung von JJ1, JJ2 und JJ3 in Deutschland, Italien und der Schweiz führte. JJ4 ist damit der noch einzig lebende Nachwuchs aus diesem Wurf.
Sind Bären für uns Menschen gefährlich oder wir für sie?
An sich haben wir Menschen vor den scheuen Tieren nichts zu befürchten, denn sie ernähren sich vorwiegend vegetarisch. Wir sind für sie keine Beute. Die Verfolgung durch den Menschen hat bewirkt, dass die meisten Bären in Europa überwiegend dämmerungs- und nachtaktiv sind. Wenn es zu einer Konfliktsituation kommt, sind wir ihnen jedoch körperlich in jeder Hinsicht unterlegen. Daher ist ein respektvolles und umsichtiges Verhalten in Gebieten mit Bärenvorkommen für die eigene Sicherheit unerlässlich, dient aber letztlich auch dem Schutz der Bären
Wir freuen uns über jede Spende, die uns beim Bau der Hochsicherheitsanlage zur Aufnahme von JJ4 unterstützt.
Der Bär – ein instinktiver und lernfähiger Opportunist
Grundsätzlich versuchen Bären Gefahren, die ihre Gesundheit oder ihr Leben bedrohen könnten, möglichst zu vermeiden. Werden Bärenmütter in Begleitung ihres Nachwuchses jedoch überrascht, verteidigen sie diesen instinktiv, um das Überleben der eigenen Art zu sichern. Eine ähnliche Gefahr geht von verletzten, ruhenden Bären oder Bären beim Fressen aus, wenn sie von Menschen überrascht werden.
Bären sind Opportunisten und suchen in der Regel den einfachsten und energiesparendsten Weg, um an Nahrung zu gelangen. Dichte, Qualität und Zugänglichkeit des Nahrungsangebotes entscheiden über die Größe und geografische Lage des Lebensraums. Sie sind viele Stunden am Tag mit der Nahrungssuche beschäftigt und legen dabei oft weite Strecken zurück.
Ihr extrem guter Geruchssinn erstreckt sich über mehrere Kilometer. Liegt ihr Streifgebiet in der Nähe zu Siedlungen mit leicht zugänglichen Abfalltonnen oder nahe schlecht bzw. ungeschützter Nutztiere, Bienenstöcke oder Obstplantagen, können Bären dazu verleitet werden, ihren Nahrungsbedarf immer wieder auf diese Weise zu decken, wenn sie nicht konsequent vertrieben oder vergrämt werden. Es tritt ein unerwünschter Lern- bzw. Gewöhnungseffekt ein und menschlicher Geruch verliert seine abschreckende Wirkung. Das Konfliktrisiko steigt, was besonders für Bärennachwuchs, der dieses Verhalten von klein auf erlernt, einen Teufelskreis in Gang setzt. Gleiches gilt natürlich, wenn Menschen unbedarft oder aus eigennützigen Gründen Bären anfüttern.
Erfolglose Partnersuche mit fatalen Folgen
Zusammenhängende Lebensräume, in denen Bären Nahrung finden, abwandern und sich mit anderen nicht verwandten Bären verpaaren können, sind die Voraussetzung für den Fortbestand gesunder Bärenpopulationen. Die Bärenpopulation in den Bergen der Region Trentino ist inzwischen auf ca. 100 Bären angestiegen.
Bärinnen leben ca. 2-3 Jahre lang mit ihrem Nachwuchs zusammen, bevor sie diesen vertreiben, um sich erneut paaren zu können. Während weibliche Bären nach ihrer Geschlechtsreife eher ortstreu im Aktionsraum der Mutter bleiben, nehmen männliche Tiere auf der Suche nach einer Partnerin weite Strecken über Landesgrenzen hinweg und entsprechende Risiken auf sich. Mit zunehmender Besatzdichte dehnt sich auch das Verbreitungsgebiet der weiblichen Tiere weiter aus.
Zum Teil durchkreuzen stark befahrene Straßen- und Schienennetze die Wanderrouten der Bären aus dem Trentino in die Nachbarländer Deutschland, Österreich und Slowenien und stellen eine tödliche Gefahr oder ein unüberwindliches Hindernis dar.
Seit ihrer Ausrottung in Deutschland, Österreich oder der Schweiz sind Bären dort nie wieder dauerhaft ansässig geworden. Bisher kamen nur männliche Tiere über die Grenzen in die Nachbarländer. Doch nicht jede Region ist ausreichend auf die einwandernden Bären aus dem Trentino vorbereitet. So kommt es immer wieder vor, dass die Bären dort Nutztiere reißen, Schäden anrichten und neue Konflikte entstehen.
Nach erfolgloser Partnerinnensuche kehren die Bärenmänner unverrichteter Dinge in ihr Ursprungsgebiet nach Italien zurück und verpaaren sich dort. Die Populationsdichte steigt demnach stetig an und mit ihr auch das Konfliktpotential. Seit dem Tod des Joggers Andrea Papi üben die Menschen immer häufiger Selbstjustiz. Laut Medien wurden im vergangenen Jahr zwischen April und Oktober nach dem Tod von Papi sieben tote Bären aufgefunden.
Den Bären im Trentino geht es zunehmend an den Kragen. Inzwischen wurde in der Provinz eine Gesetzesänderung verabschiedet, die eine Tötungsquote von acht Bären pro Jahr erlaubt. Tierschutzorganisationen haben dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Ein Urteil steht noch aus. Im Juli wurde die Bärin KJ1 per Beschluss des Landeshauptmann binnen weniger Stunden erschossen, nachdem auch sie einen französischen Touristen verletzte. Wie JJ4, war auch sie mit ihrem Nachwuchs unterwegs.
Ist das Schicksal der Bären im Trentino besiegelt?
Das herausragende Problem auf langfristige Sicht ist die regionale Begrenzung der Bärenpopulationen auf das Trentino mangels weiblicher Tiere in den angrenzenden DACH-Regionen und auch in den direkt angrenzenden Gebieten in Slowenien. Ohne sie, kann im trentinischen Alpenraum keine Entspannung erfolgen.
Wie eine Studie[1] von Dr. Néstor Fernández vom Forschungszentrum iDiv und der Universität Halle jedoch belegt, gäbe es in Europa über eine Million Quadratkilometern geeigneten Lebensraum für Bären, von denen zum Zeitpunkt der Studie rund 37 % noch nicht besiedelt waren. In Deutschland[2] sind 16.000 km[2] identifiziert worden, wobei eine natürliche Wiederansiedlung in der Alpenregion jedoch am wahrscheinlichsten ist.
Abstimmung: Wie stehen Sie dazu?
Würden Sie die Rückkehr von Bären in den Alpenregionen der DACH-Länder begrüßen?
Die Position der STIFTUNG für BÄREN – Wildtier- und Artenschutz:
Grundsätzlich befürworten wir eine Rückkehr von Bären in Deutschland. Aus unserer Sicht müsste mehr für ein vorausschauendes und vor allem transnationales Bären-Management mit intensivem Monitoring zu den Bewegungs- und Verhaltensmustern der Bären getan werden. Nur so können geeignete und rechtzeitige Maßnahmen ergriffen werden, die Bären und Menschen gleichermaßen schützen und ein konfliktarmes Zusammenleben ermöglichen. Solange keine weiblichen Tiere abwandern oder umgesiedelt werden, hat die Rückkehr des Bären in Deutschland oder den Nachbarländern Österreich und der Schweiz derzeit nur wenig Aussicht auf Erfolg. Zur besseren Vorbereitung sollten wir aus den guten, wie den schlechten Erfahrungen der Länder mit Bärenpopulationen lernen und sämtliche Interessensvertreter von Anfang an einbinden, damit Bären auch bei uns eine Chance haben, akzeptiert zu werden.
Wir freuen uns über jede Spende, die uns beim Bau der Hochsicherheitsanlage zur Aufnahme von JJ4 unterstützt.
Analyse der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Life Ursus Projektes
Stärken:
Das Life Ursus Projekt hat gezeigt, dass Bärenpopulationen sich erholen können. Seit dem Start 1999 ist die Population von 13 Bären auf ca. 100-120 Tiere inkl. Jungtiere angewachsen, geschätztes Verbreitungsgebiet ca. 41.217 km² (lt. Bericht 2022)
Schwächen:
Unzureichende und zu späte Aufklärung der Bevölkerung über das richtige Verhalten, politische Entscheidungen orientieren sich stark an lokaler Wählermeinung ohne Weitsicht für Artenschutz.
Chancen:
In den alpinen DACH-Nachbarländern hätten Bären aus dem Trentino die Chance sich anzusiedeln und so den Druck auf die Region zu reduzieren.Voraussetzung: intensive Aufklärung, flächendeckende Schutzvorkehrungen, Umsiedlung oder Abwanderung weiblicher Bären.
Risiken:
Ohne Abwanderungsmöglichkeit und steigende Populationszahlen nimmt die Wahrscheinlichkeit von Konfliktsituationen und die Fälle von Selbstjustiz zu. Der politische Druck für Maßnahmen zur Reduzierung der Bären wächst.
Teil 2: Die menschliche Dimension des Problems
Faktencheck:
Als die Machbarkeitsstudie zum Life Ursus Projekt im Jahr 1996 startete, sprachen sich laut Meinungsumfrage[3] über 70% der befragten Einwohner*innen der Region, in der die Bären ausgesetzt werden sollten, dafür aus. 2004 waren immer noch 76% der Bevölkerung laut Umfrage[4] für das Verbleiben der Bären im Trentino. Seit dem Todesfall von Andrea Papi ist die Stimmung gekippt. Mit aktuell über 100 Bären und sich häufender Bärensichtungen in Siedlungen schwindet der lokale Zuspruch für die Tiere. Die Population wächst[5] stetig an. Viele Einheimische der Region fordern eine drastische Reduzierung und machen Druck auf die Behörden.
© A Beetz Brothers film production in co-production with Miramonte Film, BR, SWR and Sky
Laut Machbarkeitsstudie wurde ein Lebensraum für mindestens 50 Bären prognostiziert. Der Landeshauptmann Fugatti spricht seit dem Vorfall öffentlich nur von maximal 50 Bären und will die Population halbieren. Dafür ließ er ein Gesetz verabschieden, wonach acht Bären pro Jahr geschossen werden dürfen. Tierschutzorganisationen, die den Abschuss von JJ4 bereits gerichtlich verhinderten, klagen gegen das Gesetz beim Europäischen Gerichtshof. Seit 2014 kam es im Trentino zu neun Bärenangriffen.
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Welchen Wert hat die Natur für uns?
Dank EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, der Berner Konvention und vieler einzelner Schutzprojekte konnten sich die Bärenpopulationen in Europa erholen[6]. So auch in den Alpen im Trentino. Gleich-zeitig werden durch Infrastrukturmaßnahmen Lebensräume in den Kerngebieten für Bärenpopulationen durchschnitten und durch Waldrodungen und Straßenbau verkleinert (insbesondere in Rumänien, dem Kerngebiet für Bärenvorkommen). Auf der Suche nach Nahrung dringen die Bären immer häufiger in die Siedlungsräume der Menschen vor. Konflikte häufen sich und sorgen für Rufe nach Lockerung des Schutzstatus von Bären. Die Frage, ob Bären für Menschen grundsätzliche einen Mehrwert haben, taucht immer öfter auf und führt uns zur Kernfrage, welchen Stellenwert wir den Wildtieren grundsätzlich beimessen. Dieser entscheidet letztlich darüber, ob Großbeutegreifer bei uns eine Zukunft haben. Unsere Meinung gegenüber Bären ist durch verschiedene Faktoren geprägt: Haben wir schon Erfahrungen mit Bären gemacht und wenn ja, waren diese gut oder schlecht? Was wissen wir über Bärenverhalten? Wie und in welchem Maß sind oder wären wir von ihrer Rückkehr betroffen z.B. im Hinblick auf wirtschaftliche oder politische Interessen? Welchen Einfluss üben Meinungsmacher auf uns aus, die (Falsch-)Informationen verbreiten? Diese und andere Fragen behandelt das Modell-Projekt zur Bär-Mensch-Koexistenz im Abruzzen-Nationalpark[7] der ETH-Forscherin Paula Mayer.
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Böser Wolf oder Bambi-Syndrom – zwischen Urangst und Naivität
Der Mythos vom bösen Wolf und das „Bambi-Syndrom“ sind trotz wissenschaftlicher Dokus bis heute nicht ganz ausgestorben, genauso wie der archaische Jagdtrieb und „biblische Ansprüche“ des Menschen, über die Natur herrschen zu wollen. Alles wirkt noch tief in uns.
Ob wir in der Stadt aufwuchsen oder auf dem Land geboren wurden, beeinflusst unseren Blick auf die Natur. Wald und Wildnis stehen hoch im Kurs beim Freizeitverhalten von Stadtmenschen, während sie für die Landbevölkerung Heimat und Teil ihrer kulturellen Identität sind. Eine Natur, in der Bären leben, ist für die einen ein verklärter Sehnsuchtsort, für andere eine Gefahr, die es zu beherrschen gilt. Ob Städter oder Landmensch, wenn sich Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder gar bedroht fühlen, wird für sie der Bär schnell zum „Problembär“.
Über Bergbauern und Beihilfen – wenn der Zweck die Mittel heiligt
Die Bedeutung der Berglandwirtschaft im Alpenraum hat lange Tradition. Im Zuge des Strukturwandels in den 60er/70er Jahren rutschte die einstige Lebensexistenz der Almbäuer*innen großteils in den subventionierten[8] Nebenerwerb (in der BRD mit jährlich 1,7 Mio. EUR). Die heutige Almwirtschaft dient vor allem dem Erhalt einer traditionell entstandenen Kulturlandschaft, die einen eigenen Artenreichtum hervorbrachte und regional als Erholungsgebiet einen wichtigen Wirtschaftsfaktor im Tourismus darstellt.
Um die Anwesenheit von Bären und Wölfen damit in Einklang zu bringen, kommt man um einen höheren Arbeits-, Zeit- und Kostenaufwand nicht herum. Denn frisst ein wildes Tier ein hoch subventioniertes anderes Tier, wird es teuer – für den/die Bäuer*in und den Staat. Intensive Beratungen von Almbetrieben und die Förderung von Schutzmaßnahmen in Form von Elektrozäunen oder den Einsatz von Herdenschutzhunden und Hirt*innen haben sich indes inzwischen auch im Trentino bewährt. Leider wurde erst 2014 damit begonnen staatlich geförderte Herdenschutzhunde zum Einsatz zu bringen, inzwischen sind es 95 Hunde[9]. Der bürokratische Aufwand bei Ersatzzahlungen für getötete Nutztiere scheint in Italien ein ähnliches Hemmnis zu sein, wie wir es in Deutschland im Zusammenhang mit Wolfsrissen kennen.
„Bear-Watching“ als Chance?
In Italien wurden in den Wandergebieten im Trentino - wenn auch mit Verzögerung – Informationstafeln zum Hinweis auf Bären und wie man sich richtig verhält aufgestellt. Prompt kam seitens der Hoteliers die Kritik, dass die Urlauber*innen sich davon abgeschreckt fühlen könnten. Dabei könnte auch der Tourismus von der Anwesenheit der Bären profitieren, wie beispielsweise in Kanada. Mit einem nachhaltigen und schlüssigen Konzept, das Besucher*innen an allen Schnittstellen ihrer Reise über richtige Verhaltensweise im Bärengebiet aufklärt und Hilfsmittel (z.B. Bärenglöckchen, Bärenabwehrspray) bietet, wären nicht nur Bären und Tourist*innen besser geschützt, sondern es könnten Einkünfte und Arbeitsplätze geschaffen werden.
Aber ohne Kontrollen wird es nicht gehen. In Rumänien haben sich die Bären beispielsweise entlang der Karpaten-Hochstraße trotz Fütterungsverbotsschilder auf das Betteln nach Leckerbissen bei Tourist*innen spezialisiert[10]. Die Folge: jede Menge falsch geprägte Bären, die riskieren ihr Leben zu lassen, weil sie in Unfälle verwickelt werden oder aufgrund der verlorenen Scheu den Menschen zu nahe kommen und getötet werden. Nach eigenen Aussagen wollen rumänische Anbieter*innen von Bear-Watching-Trips durch gezielte Fütterungen im Wald bewirken, dass Bären von Siedlungen weggelockt werden[11]. Ob dieses Geschäftsmodell für die Bärenpopulationen in Rumänien tatsächlich nachhaltig ist, ist fraglich, denn die gute Nase eines Bären lässt sich nicht so leicht täuschen. Das Anfüttern konditioniert die Bären auf menschliche Gerüche und beeinflusst ihre natürliche Habitatnutzung. Die Gefahr, auf diese Weise quasi gezielt „Problembären“ heranzuziehen, bleibt, weshalb wir diese kontrollierte Form des Foto-Shootings kritisch sehen.
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Und ewig lockt der Müll
In regelmäßigen, und wie es scheint, immer kürzeren Abständen wird in den Medien von Bären berichtet, die im Trentino in die Ortschaften wandern und für Angst und Schrecken sorgen. Der Grund: Bären fühlen sich vom Geruch von Abfällen angezogen. Solange sie diese als leicht zugängliche Futterquelle erleben, wird sich das Problem fortsetzen und Bären verlieren ihre Scheu vor den Menschen. Bislang wurden die Sammelstellen für organische Abfälle nur teilweise durch bärensichere Behältnisse ausgetauscht[12]. Ein Nebeneinander von Braunbären und Menschen kann jedoch nur funktionieren, wenn flächendeckende Abfallkonzepte verhindern, dass Bären sich von Siedlungsabfällen ernähren können. Dazu zählen auch Komposthaufen, Rast-, Picknick- und Campingplätze. Gesammelte Müllsäcke oder bei uns die gelben Säcke für Verpackungsmüll am Straßenrand, sind geruchsintensive Lockmittel denen Bären nicht widerstehen können.
Es ist äußerst schwierig und personell aufwendig, bereits futterkonditionierte Bären umzugewöhnen. Dazu müssen Wildhüter*innen die Bären beobachten und ihre Verhaltensmuster erkennen, um sie dann gezielt beim Plündern zu erwischen und mit Gummigeschossen und Lärm zu vergrämen. Im schweizerischen Val Müstair wurde ein bärensicheres Abfallkonzept[13] als Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft und Behörden entworfen, das Beispielcharakter hat. In Rumänien experimentiert man derzeit mit Künstlicher Intelligenz[14]. Die Erkennung eines Bären über Kameras löst automatische laute Geräusche aus, die die Bären vergraulen soll.
Von Jägern und Gejagten - Wenn Tierschutz zum Tierschutzproblem wird
Die Fronten zwischen Tierschützer*innen, Behörden und Einwohner*innen in den Bärengebieten sind nicht erst seit JJ4 verhärtet. Tierschützer*innen vereitelten die Abschussfreigaben des Landeshauptmanns per Klage vor Gericht, während die lokale Bevölkerung seit dem Tod von Andrea Papi mehrheitlich schnelle Lösungen fordert und damit droht, selbst Maßnahmen zu ergreifen oder dies auch tut.
© A Beetz Brothers film production in co-production with Miramonte Film, BR, SWR and Sky
Den Forstbehörden, die es keinem recht machen können, wird gefühlt die ganze Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Bär übertragen. Dabei sind seit Ende des Life Ursus Projektes gerade einmal vier Beamt*innen im Trentino im Einsatz. Diese staatliche Mammutsaufgabe ist ohne externe Unterstützung z.B. durch die Jägerschaft beim Monitoring der über 100 Bären gar nicht zu bewältigen. Daher wurde in den betroffenen Siedlungsgebieten leider erst spät in den Dialog und die Aufklärung intensiviert. Ohne Rückenwind aus der Politik, die vor allem ihre Wiederwahl zum Ziel hat, ist es für die Forstbeamt*innen nahezu unmöglich, den sprichwörtlichen Karren allein aus dem Dreck zu ziehen.
© A Beetz Brothers film production in co-production with Miramonte Film, BR, SWR and Sky
Der Ärger seitens der italienischen Tierschützer*innen über ungenügende und zu späte Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen ist nachvollziehbar, da Konflikte u.a. erst dadurch entstanden sind. Trotzdem: Wildbären, die sich gefährlich verhalten, einzufangen und ein Leben lang in Gefangenschaft zu halten, statt sie zu töten, verursacht auch Tierleid. Natürlich sollte ein Abschuss immer das letzte Mittel der Wahl sein, wenn sämtliche Präventions- und Vergrämungsmaßnahmen scheitern.
Abstimmung: Was glauben Sie?
Sind wir in Deutschland auf die Rückkehr des Bären ausreichend vorbereitet?
Die Position der STIFTUNG für BÄREN – Wildtier- und Artenschutz:
Am Beispiel der Lage im Trentino sieht man, wie schwierig es ist, im Nachhinein unterschiedliche Interessen und Meinungen unter einen Hut zu bekommen, wenn die Situation schon so verfahren ist. Die Leidtragenden sind nicht nur die Bären. Wir glauben, dass viele Schwierigkeiten durch frühzeitige und kontinuierliche Einbindung aller Beteiligten schnell identifiziert und durch gemeinsam erarbeitete Lösungen hätten behoben werden können. Die Fronten sind sehr verhärtet, aber wir versuchen im Konflikt zu vermitteln. Ohne Kompromisse, zusätzlichen Aufwand und vielleicht auch ein Stück weit freiwilligen Verzichts kann es jedoch nicht gehen. Es hängt von der Bereitschaft der Menschen ab, Bären in unserer Kulturlandschaft ein Stück weit Platz einzuräumen. Für Deutschland als Bärenerwartungsland ist es umso wichtiger aus dem Beispiel Italiens zu lernen und im Sinne von Mensch und Bär jetzt schon in gezielte Aufklärungskampagnen, Beratungen aller Stakeholder*innen und die übergreifende Zusammenarbeit zwischen Behörden und Tierschutz zu investieren. Nur so ist eine konfliktarme Koexistenz mit Bären bei uns möglich. Die öffentlichen und sozialen Medien spielen eine bedeutsame Rolle als „Meinungsmacher“ in dem Prozess. All diese Bemühungen müssen über die Ländergrenzen hinaus wirken, denn nur wenn die Menschen geschlossen Bären im alpinen Lebensraum als Mitbewohner akzeptieren, haben sie dort eine Zukunft.
Wir freuen uns über jede Spende, die uns beim Bau der Hochsicherheitsanlage zur Aufnahme von JJ4 unterstützt.
Teil 3 - Wildbärenschutz – was sind die Regeln und wie sieht die Praxis aus? (Veröffentlichung am 15.10.2024)
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Filmtipp: „Gefährlich nah – Wenn Bären töten“ (in der ARD-Mediathek)
Trotz des etwas reißerisch klingenden Titels zeigt der Film sehr eindrücklich die Komplexität der Umstände auf, die zur gegenwärtigen Lage im Fall von JJ4 geführt haben. Auch die STIFTUNG für BÄREN nimmt in dem Film Stellung zur Situation.
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