Realitätscheck zur Rückkehr des Wolfs nach Deutschland
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- Kategorie: Wölfe
Realitätscheck zur Rückkehr des Wolfs nach Deutschland
Hüter des Waldes oder Schrecken der Vororte? Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert leben wieder Wölfe in den Wäldern der Bundesrepublik. Doch der scheue Vierbeiner scheint die Deutschen zu spalten, während er auf der einen Seite Lobeshymnen für den Artenschutz hervorruft, sorgt er bei vielen für Mahnfeuer. Kindergärten rufen den Notstand aus, von einer wölfischen Invasion ist die Rede, denn Deutschland als Kulturlandschaft sei viel zu dicht besiedelt für solch einen Prädator.
Doch was ist dran? Ist der Wolf die Waldpolizei auf vier Beinen oder eher ein Räuber?
Weder noch. Der Wolf ist weder gut noch böse, er ist ein Wildtier, das intelligent und anpassungsfähig ist – und das schon seit tausenden von Jahren. Und DEN Wolf gibt es nicht, denn Wölfe sind so unterschiedlich wie wir Menschen auch. Was es damit auf sich hat, welche Rolle der Canis Lupus in der deutschen Kulturlandschaft spielt und was hinter den gängigen Mythen steckt klären wir in unserem Realitätscheck zum Thema Rückkehr der Wölfe.
INHALTSVERZEICHNIS
1 – Wurde der Wolf angesiedelt? 2 – Wenn Wölfe reißen 3 – Wenn die Angst siegt 4 - Fazit |
1 – Wurde der Wolf angesiedelt?
Haben Menschen den Wolf aktiv in Deutschland ausgewildert?
Nein. Der Wolf ist eigenständig aus Polen eingewandert. Erste Nachweise für Nachwuchs gab es 2000 in Sachsen. Eine solche künstliche Ansiedlung gab es nie.
CANISLUPUS | Einsame Weiten, jenseits der Zivilisation in den Tiefen unberührter Natur – der ideale Lebensraum für Wölfe ist idyllisch, scheint aber in Deutschland schwer auffindbar zu sein. Selbst in den zart besiedelten Landstrichen ist es kaum möglich, sich mehr als einen Kilometer von einer Straße zu entfernen. Dennoch hat sich der Canis lupus lupus, der europäische Grauwolf, wieder in der Bundesrepublik angesiedelt.
Kritische Stimmen behaupten, es gäbe keinen Platz für das Tier, doch das stimmt so nicht. Wölfe sind intelligente, hochentwickelte Lebewesen, die durchaus in der Lage sind, auch in einem Lebensraum zu überleben, der nicht zu 100% ideal ist. Wobei es bei dieser Sichtweise des Menschen ist, der für sich definiert hat, wie das perfekte Habitat und wie ein adäquates Verhalten der Tiere auszusehen hat. Doch genau hier birgt sich Potential für jede Menge Konflikte. Denn in theoretisch sind Wölfe scheue Tiere, die Menschen meiden, praktisch tun sie dies auch.
So sind sie in Europa nachtaktiv und gehen Menschen aus dem Weg, dies gilt jedoch nicht für menschliche Strukturen. Dies können Straßen sein, aber auch Gebäude oder Fahrzeuge. So schreckt ein Wolf eher vor einem Fußgänger zurück, als vor einem Auto. Kommt es dann zu Sichtungen, ist dies kein auffälliges Verhalten seitens des Tieres, doch Menschen sind dadurch verunsichert, da im Allgemeinen das Bild gehegt wird, dass Wölfe nur in den Wäldern leben.
2 - Wenn Wölfe reißen
Was fressen Wölfe eigentlich?
In Deutschland ist die häufigste Beute Reh, gefolgt von Wildschwein und Rothirsch. Dabei handelt es sich meist um junge oder alte Tiere, da diese wesentlich leichter zu reißen sind. Erwachsene Wölfe brauchen theoretisch 2-3 kg Fleisch täglich, können aber bis zu 11 kg auf einmal fressen, denn zu einem Jagderfolg kommt es nicht täglich.
Was sie natürlich auch tun, doch gerade junge Wölfe, die mit der Geschlechtsreife das Rudel verlassen um sich auf die Suche nach einem eigenen Revier zu machen, passieren auf ihrer Wanderung durchaus menschliches Hoheitsgebiet. Jungtiere sind zudem in der Regel etwas neugieriger und mutiger als ihre betagteren Artgenossen. Doch auch dies ist vollkommen normal. Problematisch kann es dann werden, wenn sie auf Viehweiden treffen. Es gibt Wölfe, die dies umgehen, andere reißen s.g. Nutztiere.
Woran liegt das?
Mehrere Faktoren spielen dabei eine Rolle. Zum einen liegt es am Tier selbst, Charakter, Familienhintergrund, Erfahrung. Zum anderen kommt es auf die Viehweide an, welche Herdenschutzmaßnahmen gibt es, sind gar Menschen vor Ort?
Wölfe sind sehr charakterstarke Tiere. Selbst Individuen aus dem selben Wurf können unterschiedlich sein. Der eine Vierbeiner neugierig und mutiger, der andere zurückhaltend und scheuer. Doch ein entscheidender Faktor ist, ob sie es von den Elterntieren gelernt haben, s.g. Nutztiere zu reißen oder nicht. Grundlegend sind Wölfe opportunistisch, d.h. sie wählen in der Regel die Variante, die mit dem geringsten Aufwand verbunden ist. Dies liegt schlicht daran, dass sie nicht einschätzen können, wann es wieder Nahrung gibt, denn zu einem Jagderfolg kommt es nicht täglich. Wird ein Wolf dann mit einer Ansammlung von Beutetieren konfrontiert, die auf engstem Raum gefangen sind, ist die Verlockung logischerweise enorm groß. Und dann stellt sich die Frage: gibt es Herdenschutz und wenn ja, wie sieht dieser aus?
In Deutschland beträgt das Minimum 90 cm mit Stromzaun, empfohlen werden 120 cm. Idealerweise gibt es zudem einen Untergrabschutz, denn Wölfe können nicht nur springen, sondern auch hervorragend graben. Daher bietet sich der Einsatz eines Herdenschutzhundes an, bestenfalls begleitet von einem Menschen.
Der Wolf wurde in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet. Eine wahre Ausrottungskampagne wurde damals ins Leben gerufen, jeder tote Wolf war ein Symbol für den Sieg über die Wildnis. Gut fünf Generationen später ist dieses Bild leider noch immer weit verbreitet. Es herrscht eine Kluft zwischen der Vorstellung eines Wolfes und dem realen Tier. Der praktische Umgang mit dem Individuum wurde schlichtweg verlernt, ein adäquater Herdenschutz gilt als hoher Aufwand. Hinzukommt, dass der Riss von s.g. Nutztieren nicht als Nahrungsbeschaffung eines Beutegreifers, sondern als persönliche Aggression gegenüber den Menschen angesehen wird. Dies führt dazu, dass die Debatte in Sachen Wolf oft von praktikabler Handhabe in eine emotionale Achterbahnfahrt driftet.
Aktuelle Zahlen: 2023/2024, beliefen sich die Zahlen auf: 18 Einzeltiere, 50 Paare, 209 Rudel
Die mediale Berichterstattung trägt dazu leider ihren Teil bei. Reißerische Schlagzeilen sorgen für Aufsehen und verkaufen sich somit besser, doch skizzieren dadurch ein falsches, unrealistisches Bild. Beispiel Griechenland 2017: die Medien berichteten darüber, dass eine Frau von Wölfen getötet wurde. Der Ruf nach einer Senkung des Schutzstatus des Tieres flammte auf. Nachforschungen ergaben schließlich, dass nicht Wölfe, sondern Hunde für den Zwischenfall verantwortlich waren. Doch diese wichtige Richtigstellung von Tatsachen wurde kaum beachtet. Stattdessen wuchs die Furcht vor Wölfen. In Deutschland blieben gar Kindergärten geschlossen, da es in den nahegelegenen Wäldern Wolfssichtungen gab.
Wenn die Angst siegt
Sind Wölfe eine Gefahr für Menschen, speziell Kinder?
Nein, auch auf engsten Raum meiden sie die Konfrontation mit Menschen, in der Regel verteidigen sie nicht einmal ihre Welpen vor den Zweibeinern. Es kam zwar historisch zu tödlichen Zwischenfällen, welche sich allerdings in extremen Situationen zutrugen. Beispielsweise in Alaska, als hungrige Wölfe im tiefsten Winter einen Menschen rissen oder in Indien, als Wölfe, die kurz vor dem Verhungern waren, sich von Müll ernährten, ein Kind töten, das auf eine Viehherde aufpasste. Solche Ausnahmesituationen sind in Deutschland, eigentlich in fast allen Regionen der Welt, eher unwahrscheinlich.
Aufgrund einer schieren Wolfsinvasion wurde eine Regulierung der Population gefordert, ein Euphemismus für die Freigabe zum Abschuss. Und genau dies wird als Lösung der Konflikte beworben, doch worin bestehen die realen Konflikte? Beschädigung von Eigentum, sprich Risse von s.g. Nutztieren. Dahingehend ist die Senkung des Schutzstatus allerdings nicht dienlich, im Gegenteil. Ein Rudel, das gelernt hat, Viehweiden zu meiden, wird dies auch an die Nachkommen weitergeben, die in anderen Territorien ein ähnliches Verhalten an den Tag legen werden. Dies steht und fällt allerdings mit adäquaten Herdenschutz. Denn im Umkehrschluss, wenn Wölfe einmal gelernt haben, dass es in der Nähe von Menschen leichte Beute gibt, ist es extrem schwierig, ihnen dies wieder abzugewöhnen.
Trotz einem Zuwachs von Wölfen gibt es weniger Risse. 2023 waren es fast 6.000, 2024 belief sich die Zahl auf 4.300. 91,1 % davon waren Ziegen und Schafe.
Daher empfiehlt es sich, den Herdenschutz zu fördern. Und dies ist in Deutschland der Fall. Die Anschaffung von Herdenschutzzäunen sowie Herdenschutzhunden wird durchaus bis zu 100% gefördert. Dabei gilt es die unterschiedlichen Richtlinien der einzelnen Bundesländer zu beachten. [https://www.dbb-wolf.de/Wolfsmanagement/bundeslaender/links-zu-laender-webseiten]. 2024 wurden Präventionsmaßnahmen in Höhe von 23.400.000 € gefördert. Die Ausgleichszahlungen betrugen hingegen 780.400 €. Der Rückgang der Risse zeigt, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung für eine Koexistenz ist.
Herdenschutz ist der effektivste Weg, denn die Alternativen sind entweder aufwändig, ineffizient oder führen zu Tierleid. Eine Vergrämung (durch Gummigeschosse, Feuerwerkskörper etc.) z.B. bietet sich eher in einer Frühphase an. Bereits auffällige Tiere lassen sich nur enorm schwer konditionieren. Dazu braucht es Erfahrung, Kenntnisse der Situation vor Ort und es ist zudem sehr zeitintensiv. Die Gefangennahme und Unterbringung in Gefangenschaft ist ein absolutes Tabu, da Wildtiere, speziell Wölfe, extrem darunter leiden. Tiere, die an ein Leben in der freien Wildbahn gewöhnt sind, quälen sich in Menschenhand. Aus Tierschutzgründen bildet dies also keine Lösung.
Konzept Alphawolf – wie ist die Rudelstruktur?
Einen Alphawolf gibt es nicht, dies ist ein Phänomen, das in Gefangenschaft auftritt. In der freien Wildbahn besteht das Rudel aus einem Familienverband, dh. meist die Elterntiere und Nachkommen der letzten zwei Jahre (etwa 5-10 Tiere).
Doch auch ein Abschuss gestaltet sich schwierig und führt nicht zum gewünschten Erfolg, kann sogar das Gegenteil bewirken, denn dadurch droht die Gefahr, bestehende Rudelstrukturen zu zerstören. Es kann z.B. dazu führen, dass eine Fähe sich alleine um den Nachwuchs kümmern muss und/oder sich aufgrund mangelnder Partner mit Haushunden verpaart. Der Abschuss von Wölfen kann folglich die Hybridisierung unterstützen, die aus mehreren Gründen, allen voran artenschutztechnisch, nicht erwünscht ist. Mehr zu Hybriden hier.
Wobei unerwünscht das Stichwort ist, dass es zu unterscheiden gilt: ist das Verhalten wirklich problematisch, stellt also eine Gefahr für den Menschen dar, oder ist es eher als unerwünscht einzustufen. Denn ein Wolf kann sich durchaus normal verhalten, dadurch aber unerwünscht werden. Letztlich erschweren 120 cm Elektrozaun den Riss von s.g. Nutztieren, ein ernstzunehmendes Hindernis stellt es allerdings nicht da.
Herdenschutzmaßnahmen werden in Deutschland z.T. bis zu 100% subventioniert.
Dennoch kam es tatsächlich im Mai 2025 zu einer EU weiten Senkung des Schutzstatus der Wölfe, von streng geschützt auf geschützt. Das bedeutet: Die Mitgliedstaaten erhalten dadurch mehr Spielraum beim Management von Wolfspopulationen. Sie können künftig flexibler Maßnahmen ergreifen, um das Zusammenleben von Mensch und Wolf zu verbessern und die Auswirkungen wachsender Wolfsbestände besser zu bewältigen. Zudem können sie Maßnahmen an regionale Besonderheiten anpassen.
Invasion der Wölfe?
Unwahrscheinlich, die Wölfe regulieren ihren Bestand grundlegend selbst. Da einzelne Rudel ihr Territorium (in Deutschland ca. 100-500 km2) vor Konkurrenten verteidigen, ist die Verbreitung begrenzt. Jungwölfe suchen sich ein neues Revier, welches sich nicht mit dem anderer Rudel überschneidet, sowie einen geeigneten Partner.
Zwar heißt es weiter seitens des EU-Parlaments, Die Mitgliedstaaten bleiben verpflichtet, den günstigen Erhaltungszustand des Wolfs sicherzustellen. Außerdem steht es ihnen frei, den Wolf weiterhin in der nationalen Gesetzgebung als „streng geschützte Art“ einzustufen und strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten, doch es lenkt den Fokus in eine falsche Richtung. Sicherlich darf ein Abschuss in extremen Situationen kein Tabu sein, doch sich darauf auszuruhen mindert die Verantwortung, wieder mit dem Wolf leben zu lernen.
Gibt es kein Wild mehr durch die Wölfe?
Nein, der Wildbestand in Deutschland ist auf einem historischen Hoch. Eine perfekte Nahrungsgrundlage für Wölfe. Geschätzt wird, dass ein Wolfsrudel wöchentlich 7 Rehe, 1 Rotwild und 2 Wildschweine in einem Revier reißt.
4 - FAZIT
Die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland ist ein Erfolg für den Artenschutz aus vielen verschiedenen Gründen, weil seine Anwesenheit beispielsweise gut für das Ökosystem ist, da es auf natürliche Weise den Wildbestand reguliert.
Wölfe reißen bevorzugt kranke, alte und schwache Tiere, was förderlich für eine zunehmend gesunde Population der Beutetiere ist
Allen voran aber ist er buchstäblich auf eigenen Beinen zurückgehrt, was der Idealfall einer Wiederansiedlung ist. Das Beste, was wir Menschen für die Natur machen können, ist ihr Raum zu geben, den Tieren zu erlauben, ihren eigenen Weg zu gehen. Natürlich ist dies mit einem gewissen Aufwand seitens der Gesellschaft verbunden. Hierbei liegt der größte Teil darin, unser Verhalten anzupassen. In Deutschland hat der Wolf nicht immer Platz, den Menschen aus dem Weg zu gehen, was aber daran liegt, dass wir Menschen schier überall sind. Wir sind es, die in den Lebensraum der Wölfe eingedrungen sind. Was aber nicht bedeutet, dass es keine Habitate für den Wolf in der Bundesrepublik gibt. Kommt es zu Konflikten, sind diese stets auf Fehlverhalten von Menschen zurückzuführen. Anfüttern von Tieren ist dahingehend eine der größten Gefahren. Es gilt das Tier wieder kennenzulernen. Der Wolf ist nicht die Polizei des Waldes, er reißt schwache Tiere nicht, weil er uns Menschen einen gesunden Wald schenken will, sondern weil es einfacher für ihn ist. Aber er ist auch nicht das Schreckgespenst, das unsere Kinder fressen will. Im Gegenteil, es ist nicht der Wolf, der uns zu nahekommt, sondern wir Menschen sind es, die ihm zu nahekommen. Letztlich gibt es nicht „den einen“ Wolf, sondern jeder Vierbeiner ist individuell, charakterstark und verletzlich. Es sind sensible, hochentwickelte Lebewesen die auf Einflüsse reagieren. Wir Menschen können Wölfe nicht dressieren oder kontrollieren, wir können von ihnen nicht verlangen, dass sie sich an bürokratische Normen halten, die den gegebenen Umständen angepasst sind, nicht dem artspezifischen Verhalten der Tiere.