22. November 2010
Unsere alltägliche Fütterungsrunde mit den drei ehemaligen Zirkusbären beginnt wie immer an der Eingewöhnungsstation (EGS). Hier werden die notwendigen Medikamente verabreicht, die von den Dreien gern gefressen werden. Alles, was fressbar scheint und dann noch etwas mit Honig aufgepeppt ist, wird regelrecht verschlungen.
Im Vorgehege werden die besseren Happen verteilt. Auch die werden gut und gerne gesucht und schnell gefunden, soweit man Poldis Laufgang als „schnell“ bezeichnen kann. Wir sind langsam der Auffassung, dass der blinde Schapi der Cleverste in der Runde ist. Natürlich, er sieht nichts, hört und riecht aber ausgezeichnet. Das hat Julia, unsere Tierpflegerin, gleich erkannt. Mit viel Geduld hat sie es geschafft, Ben und Poldi in die Freianlage 1 durch Futter zu locken (wir berichteten).
Heute war es aber die Krönung: Auch Schapi hat den Schritt in die unglaubliche „Weite“ gewagt!
Langsam, aber trotzdem sehr bestimmt, ging er der Geruchsspur von Ben und Poldi nach. Und obwohl die beiden schon längst wieder in die EGS zurück waren, fing Schapi an, Lust an den zauberhaften Gerüchen der Natur zu finden. Jeder Quadratzentimeter wird sorgfältig und tiefgründig errochen und manchmal auch ertastet. Sogar das totale Aufrichten auf die Hinterhand, als würde er sich Übersicht verschaffen wollen, faszinierte uns bei der Beobachtung seines ersten Naturganges.
An den Bäumen schubberte er sich, die Sandsteinwasserwanne genoss er wie alle anderen Bären vor ihm in vollen Zügen, aber viel interessanter waren die Gänge bis zum Zwischenzaun zur Freianlage 2. Ob er Jurka gerochen hat?
Schapi war einer der ersten, der den Pfad seiner Vorgänger verlassen hat und jeden Hügel vorsichtig erklomm. Jedes Stückchen frisches Gras war wie eine Wonne, er weidete wie eine Kuh!
18:20 Uhr mussten wir Taschenlampen holen um zu sehen, wo er auf der 1,5 Hektar großen Freianlage 1 steckt. Unser Vorteil, dass er als blinder Bär durch das Leuchten nicht gestört wird. Doch wo war unser Bär? Schapi hat wirklich die höchsten Punkte der Anlage erstiegen und weit oben gemütlich gegrast. Rufen und Locken könnten wir ihn nicht mehr, denn die Versuchung der neuen Gerüche und des natürlichen Futters waren weit größer als unser Wunsch, ihn wieder zur EGS zu holen.
Noch zweimal ging ich in die schneeregen-bewegte, kalte Novembernacht, doch Schapi hatte sein Plätzchen unweit des höchsten Punktes der Anlage gefunden und lag schlafend ganz in der Nähe des Vorzauns.
Was mag dieser Bär wohl empfinden?
Unser Resümee: Schapi ist blind aber fit!
RS